Die monatliche GNU-KolumneBrave GNU Worldvon Georg C. F. Greve |
Willkommen zu einer weiteren Ausgabe der Brave GNU World, diesmal ganz im Zeichen des gerade stattgefundenen Weltgipfels zur Informationsgesellschaft. Da solche Gipfel auf Ebene der Vereinten Nationen im Allgemeinen sehr selten und zu jedem Thema nur einmal stattfinden, scheint es angebracht, dem etwas mehr Platz einzuräumen. Den Abschluß bildet dann als Beitrag zur Diskussion um das gesellschaftliche Verständnis von Software der Versuch einer Betrachtung des Wesens von Software.
Vom 10. bis 12. Dezember 2003 fand in Genf der Weltgipfel der Vereinten Nationen zur Informationsgesellschaft statt. Aufbauend auf den Berichten in vergangenen Ausgaben soll nun rückblickend festgestellt werden, worauf sich die UNO im Bezug auf die Informationsgesellschaft geeinigt hat und was sonst sich daraus für die globale Machtverteilung ergibt.
Der "World Summit on the Information Society" (WSIS) [5] hat sich zwei Perspektiven gegeben. Zum Einen die offensichtliche Beschäftigung mit den Weltinformationsgesellschaften, zum Anderen Schritte in Richtung eines neuen Politikverständnisses der sogenannten "global governance."
Zentrale Frage hierbei ist eine beobachtete Trennung der Instanz der Regierung und der Funktion des Regierens. War das Regieren ursprünglich ausschließlich Funktion einer im besten Fall durch das Volk legitimierten Regierung, kann besonders im Hinblick auf globale Fragen eine Auflösung dieses direkten Zusammenhangs beobachtet werden. Vielmehr scheint die Funktion des Regierens zunehmend durch ein Zusammenspiel mehrerer Akteure übernommen zu werden.
Augenblicklich werden die Akteure dabei zumeist einer von drei Gruppen zugeordnet: Regierung, Privatwirtschaft oder Zivilgesellschaft. Dabei stellt sich die Frage der Ausgestaltung eines solchen Netzwerks, denn die Akteure unterscheiden sich merklich.
Regierungen sind idealerweise durch ihre Bevölkerung legitimiert und sollen diese Repräsentieren, bzw. in deren bestem Interesse handeln. Da Länder durch ihre geographischen Grenzen identifiziert werden, haben Regierungen eine stark geographische bzw. regionale Komponente.
Diese geographische Komponente ist für Privatwirtschaft und Zivilgesellschaft deutlich schwächer ausgeprägt, da beide ihre geographische Ausdehnung, bzw. ihren Aktionsradius im Wesentlichen frei wählen können. Es gibt in beiden Fällen Organisationen in jeder denkbaren geographischen Ausdehnung.
Die Privatwirtschaft ist dabei dem eigenen Überleben bzw. Profit verpflichtet, den sie in, durch und je nach Unternehmen für die oder auf Kosten der Gesellschaft erbringt. Dabei schwebt die Privatwirtschaft keinesfalls im leeren Raum. Durch Kaufentscheidungen, also der Bevorzugung eines Unternehmens gegenüber einem Anderen, dessen Verhalten weniger ethisch ist, bzw. Arbeitsplatzwahl, also der Verweigerung, für bestimmte Unternehmen zu arbeiten, hat die Gesellschaft durchaus Einfluß auf die Privatwirtschaft. Da dieser momentan jedoch nur sehr bedingt wahrgenommen und selten bewußt eingesetzt wird, kann er kaum zur Legitimation dienen.
Die Zivilgesellschaft ist schließlich die organisierte Form der politischen Strömungen einer Gesellschaft. Ohne Gewinnorientierung verfolgen Zivilgesellschaften bestimmte Ziele, wobei sich ihre Akteure und Unterstützer aus allen Gesellschaftsteilen inklusive Regierungen und Privatwirtschaft rekrutieren.
Ohne Profit sind Zivilgesellschaften im Allgemeinen Abhängig von der Unterstützung durch Regierungen, Privatwirtschaft und/oder einzelnen Personen. Diese Unterstützung erfolgt häufig durch direkte freiwillige Arbeit oder auch indirekte freiwillige Arbeit in Form von Spenden. (siehe hierzu auch Ausgabe #46 der Brave GNU World [6]).
Die Menge der Unterstützung bestimmt dabei über das Aktionspotential einer Organisation der Zivilgesellschaft. Dies ist ein wesentlicher Faktor zum Verständnis der Legitimation von Zivilgesellschaften im politischen Prozess, da Zivilgesellschaften nur für ihre Mitglieder einen echten Repräsentationsanspruch haben. Zivilgesellschaft legitimiert sich maßgeblich über ihre Arbeit.
Arbeitet man mit dieser Dreiteilung, stellt sich schnell die Frage nach der Verteilung der Kompetenzen und der Einflußmöglichkeiten. Dabei zeigt sich, daß die Privatwirtschaft häufig einen sehr starken permanenten Einfluß auf die Politik hat, der nicht legitimiert und oft unkontrolliert ist. Dies hängt allerdings stark von der Größe des jeweiligen Unternehmens ab. Je größer ein Unternehmen, desto mehr Einfluß -- kleine Unternehmen haben zumeist keine Einflußmöglichkeiten, speziell, da auch der Kurs der Interessenverbände, die in ihrem Namen zu sprechen vorgeben, zumeist von den Großen bestimmt wird.
Wie sich z.B. in der Debatte um die Einführung von Softwarepatenten in Europa gezeigt hat, ist dies speziell in Europa problematisch, denn die Stimme der KMU (kleine- und mittelständische Unternehmen) wurde kaum gehört, obwohl sie den größten Teil der europäischen Wirtschaftskraft ausmachen. Ihr einziger Weg zur Einflußnahme war in diesem Fall über die Zivilgesellschaft, deren Arbeit sie ideell und real unterstützt haben.
Dabei ist der Einfluß der Zivilgesellschaften oft sehr klein, dafür ist ihre Kompetenz auf ihren jeweiligen Fachgebieten oft größer als die von Regierung oder Privatwirtschaft. Daher wird die Zivilgesellschaft sowohl durch Regierungen als auch Privatwirtschaft oft als Berater in Anspruch genommen, allerdings zumeist ohne harte Einflußmöglichkeiten, was dazu führt, daß Zivilgesellschaft immer in Gefahr ist, als Feigenblatt mißbraucht zu werden.
In diesem Spannungsfeld wollte der Weltgipfel neue Wege beschreiten und nahm für sich die Labels "multi-stakeholder approach" ("Ansatz mehrerer Beteiligten") bzw. "tripartism" ("Dreiparteiigkeit") in Anspruch, also die Einbeziehung aller Parteien, bzw. deren gleichberechtigte Teilnahme.
Auch wenn diese Willensbekundung zu begrüßen ist und der WSIS sicherlich Fortschritte in diese Richtung gemacht hat, muß jedoch gesagt werden, daß bis und in Genf von "tripartism" noch nicht die Rede sein konnte. Nachdem der Vorbereitungsprozeß ein nicht erkennbares Muster der Einbeziehung in und Ausschließung von Arbeitsgruppen aufwies, war die Zivilgesellschaft während des eigentlichen Gipfels eher ein Zaungast.
So wurde der Zivilgesellschaft eine Reihe von kleinen Hütten zur Verfügung gestellt, in denen es weder ausreichend Drucker, noch Kopierer oder -- ironischerweise -- Netzwerkzgang gab. Für die Plenarversammlung der Zivilgesellschaft, das wichtigste Gremium der Zivilgesellschaft, stand kein adäquater Raum zur Verfügung.
Selbst die Sprecher im Namen der Zivilgesellschaft während der Gipfelzeremonie wurden nicht durch diese bestimmt. Zwar wurde durch einen arbeitsintensiven und schmerzhaften Prozess eine Liste von Sprechern für die Zivilgesellschaft durch die selbstorganisierten Prozesse der Zivilgesellschaft erstellt und eingereicht. Als die Zivilgesellschaft dann jedoch am 1. Dezember über die Rednerliste informiert wurde, stellte sie fest, daß durch das Gipfelsekretariat zwei Drittel der Redner durch zum Teil unbekannte Namen -- inklusive des Bürgermeisters einer Stadt -- ersetzt worden waren.
Dies ist in vieler Hinsicht bezeichnend für den Prozess und nur aufgrund des Zeitmangels und wegen der Gefahr, die Botschaft und Autorität der Redner zu untergraben, hat sich die Zivilgesellschaft dazu durchgerungen, keine Sanktionen zu ergreifen.
Dafür wurde aber von Schweizer Seite der sogenannte zivilgesellschaftliche "Gegengipfel", für den von langer Hand im Voraus Räume außerhalb des Gipfelgeländes angemietet worden waren, am Vortag des Gipfels durch die Bereitschaftspolizei geräumt. Der Vorwand war ein angeblicher Verstoß gegen die Nutzungsbestimmungen im Mietvertrag, als jedoch der Vermieter auftauchte und dem widersprach, änderte sich der Räumungsgrund auf Verstoß gegen Brandschutzbestimmungen.
Daneben gab es jedoch auch positive Entwicklungen, wie z.B. die Abstimmungsgespräche der Zivilgesellschaft mit der Europäischen Union und etliche Regierungsvertreter einige Länder -- unter Anderem Deutschlands -- haben sich sehr für eine stärkere Beteiligung der Zivilgesellschaften eingesetzt und die bisher erfolgte Öffnung der Prozesse ist zu großen Teilen auch auf ihre Initiative hin erfolgt.
Insofern kann abschließend zum prozeduralen Teil gesagt werden, daß es Fortschritte gegeben hat, die sehr zu begrüßen sind, gleichzeitig aber bis zu einer echten und vollwertigen Beteiligung im Rahmen von "tripartism" noch ein weiter Weg zu gehen ist.
Nun, da die "Declaration of Principles" (Prinzipienerklärung) und der "Plan of Action" (Aktionsplan) für die Informationsgesellschaft durch die Regierungen auf dem UN Gipfel verabschiedet wurden, scheint eine Analyse im Bezug auf Freie Software und die verwandten Themen angebracht.
Zentral mit dem Thema Freie Siftware verknüpft ist die Frage nach der globalen Wissensordnung. Momentan hat die überwiegende Mehrheit der Menschheit keinen Zugriff auf das gesammelte Wissen. Wie bereits in anderen Ausgaben der Brave GNU World erläutert, ist dies hauptsächlich eine Auswirkung der Gesetzgebung um begrenzte geistige Monopole (oft irreführend als "geistiges Eigentum" bezeichnet, siehe Ausgabe #56 [7]).
In dieser Frage gibt es relativ weit vorne in den Prinzipien den §24, der sagt: "The ability for all to access and contribute information, ideas and knowledge is essential in an inclusive Information Society." Die Befähigung zur Teilhabe am globalen Wissen wird also als essentiell anerkannt.
Doch um dies bewerten zu können, ist es wichtig, sich den Paragraphen speziell zu den Monopolrechten anzusehen, der während des ganzen Prozesses zu den am stärksten umstrittenen gehörte. Tatsächlich hat der Paragraph in den letzten Wochen vor dem Gipfel besonders aufgrund des Drucks von Brasilien und anderen südlichen Ländern wesentliche Veränderungen erfahren.
Unter der schicksalsträchtigen Nummer 42 steht in der Prinzipienerklärung nun: "Intellectual Property protection is important to encourage innovation and creativity in the Information Society; similarly, the wide dissemination, diffusion, and sharing of knowledge is important to encourage innovation and creativity. Facilitating meaningful participation by all in intellectual property issues and knowledge sharing through full awareness and capacity building is a fundamental part of an inclusive Information Society."
Obwohl man den Paragraphen sicherlich wegen der Verwendung der irreführenden "intellectual property"-Terminologie und seiner weichen Formulierung kritisieren kann, sind zwei Dinge bemerkenswert. Zum Einen wird die Verfügbarkeit und Verbreitung von Wissen erwähnt -- ein Umstand mit Seltenheitswert. Und zweitens werden die internationalen Verträge nicht bestärkt, tatsächlich finden sie keine Erwähnung.
Dies öffnet die Tür zur Neuausrichtung der "World Intellectual Property Organization" (WIPO), von einer Zielsetzung der Ausweitung von Monopolrechten um ihrer selbst willen hin zu einer Reformation des Systems. Daß einer solchen Neuausrichtung kein Riegel vorgeschoben wird, ist ein Fortschritt gegenüber früheren Positionen, die selbst eine Diskussion darüber bereits kategorisch ablehnten.
Dies bedeutet einen winzigen Fortschritt in die richtige Richtung, dem hoffentlich in den nächsten Jahren weitere folgen werden.
Was die Standardisierung angeht, so hat sich seit der letzten Ausgabe nichts verändert. Obwohl der Gipfel deutliche Worte gefunden hat, um ihre Bedeutung zu betonen, sind die Dokumente nicht dazu geeignet, diese auch wirklich voran zu treiben. Der aktuelle Sprachgebrauch von "open, interoperable, non-discriminatory and demand- driven standards" erlaubt noch immer auch die üblichen proprietären Pseudostandards.
Wirklich offen wären die Standards nur dann, wenn sie auch "freely implementable" und "publicly documented" wären. Doch auch wenn die Zivilgesellschaft dies wiederholt gefordert hat, konnte sie sich mit dieser Forderung leider nicht durchsetzen. In Sachen Standardisierung wurde also kein Fortschritt gemacht.
Für Freie Software sieht die Situation glücklicherweise besser aus. Aufgrund des Drucks der Vereinigten Staaten von Amerika und ihrer Verbündeten war eigentlich immer klar, daß eine Empfehlung für Freie Software nur schwer durchzusetzen gewesen wäre. Allerdings konnten sie sich auch nicht damit durchsetzen, Freie Software völlig aus den Dokumenten zu entfernen.
Die endgültige Version spricht davon, die Schaffung von Bewußtsein für die verschiedenen Softwaremodelle zu fördern. Daran sind zwei Dinge wichtig und positiv.
Zum Einen ist die Bewußtseinsbildung nicht umsonst ein Hauptziel der Free Software Foundation. Es war noch nie unser Ziel, Menschen zur Verwendung Freier Software zu zwingen -- denn wer Freie Software nur einsetzt, ohne die Hintergründe zu verstehen, wird ebensoschnell wieder seine Freiheit aufgeben und zu proprietärer Software wechseln.
Wer jedoch Bewußtsein für die Vorteile und Implikationen dieser Wahl gewonnen hat, wird seine Freiheit nicht mehr hergeben wollen und auf Freier Software bestehen. Bewußtseinsbildung ist die wichtigste Basisarbeit zur Verbreitung Freier Software -- und die Förderung ebendieses Bewußtseins wurde auf dem Gipfel beschlossen.
Natürlich hätte man sich wünschen können, daß die Regierungen dieses Bewußtsein bereits besäßen und aufgrund dessen stärkere Formulierungen für Freie Software beschließen würden, doch ist die Einsicht in die Notwendigkeit, mehr über ein Thema zu lernen, bereits ein wichtiger Schritt.
Die zweite Komponente ist die Klassifikation von proprietärer und Freier Software als "Softwaremodelle" ("software models") und nicht mehr als "Software Entwicklungsmodelle" ("software development models"). Obwohl zunächst scheinbar ein kleiner Unterschie, erkennt diese Wortwahl an, daß es bei der Wahl zwischen Freier und unfreier Software nicht ausschließlich um technische Fragen geht.
Während Entwicklungsmodelle für Software rein technisch sind, ist der Begriff des Softwaremodells breiter und erlaubt auch die Betrachtung im Bezug auf politische, ökonomische, wissenschaftliche und gesellschaftliche Komponenten.
Die UNO hat damit in ihren offiziellen Sprachgebrauch aufgenommen, daß es bei der Entscheidung zwischen proprietärer und Freier Software eben nicht nur um Technik und technische Qualität von Software geht.
Wohl auch wegen der durchaus positiven Entwicklungen zu den Themen der begrenzten geistigen Monopole und Freier Software zeigte sich Microsoft den Gerüchten nach sehr unglücklich über die endgültige Fassung der Regierungserklärungen, hatten sie der U.S. Delegation wohl eindeutige Weisungen mitgegeben, jeden Hinweis auf Freie Software aus den Dokumenten zu tilgen.
Und obwohl kein Grund besteht, in frenetischen Beifall auszubrechen, können wir den weiteren Entwicklungen durchaus gelassen entgegen sehen. Nun kommt es darauf an, diese UNO-Erklärung, die ja von allen Ländern unterzeichnet wurde, entsprechend auf lokaler Ebene bekannt zu machen und auf Umsetzung zu drängen. Falls jemand an den Details interessiert ist, so findet er sie im Debriefing für Genf [8] auf der FSF Europe Homepage.
Es wartet also noch eine ganze Menge Arbeit.
Was die weitere Perspektive des Gipfels (der zweite Teil findet vom 16. bis 18. November 2005 in Tunis statt) angeht, so wird es nun vermutlich weniger um Grundsatzfragen und mehr um konkrete Durchführung bzw. Implementation gehen.
Von Seiten Freier Software wird es darum gehen, diese vor allem auch im Netzwerk der internationalen Zivilgesellschaften zu verankern, da diese weltweit auf den unterschiedlichsten Themengebieten aktiv sind, in vieler Hinsicht ähnliche Ziele verfolgen und unsere natürlichen Verbündeten darstellen.
Zu den interessantesten Diskussionen der letzten Zeit, vor allem auch während des Gipfels, zählte die Frage nach der Bewertung von Software und ihrem Einfluß auf die Gesellschaft. Insbesondere die Frage von Software als "Kulturtechnik" führte zu einem interessanten Dialog.
Allgemein sind Kulturtechniken Fähigkeiten bzw. Gruppen von Fähigkeiten, die mit einer bestimmten kulturellen Entwicklung verbunden sind. Klassische Kulturtechniken sind Lesen, Schreiben, Algebra, aber auch Ackerbau, welche viele einzelne Fähigkeiten umfasst.
Im Bezug auf Software wird zumeist davon gesprochen, daß ihre Benutzung eine Kulturtechnik darstelle, dabei fällt oft der Begriff "Medienkompetenz" -- wobei dieser Begriff inflationär für viele Dinge benutzt zu werden scheint, inklusive dem Wissen um die Schwächen von klassischen Printmedien und einer kritischen Haltung gegenüber den Quellen von Informationen.
Die Argumentation beruht in diesem Zusammenhang zumeist darauf, daß Software ein Produkt sei, ähnlich einem Buch, welches mit den Kulturtechniken des Lesens und Schreibens zusammenhängt. Die Wahrnehmung von Software als Produkt hängt sicherlich teilweise mit dem von proprietärer Software verbreiteten Denkmodell zusammen, denn nur über die Sichtweise als Produkt läßt sich das Lizenzmodell dem Benutzer "verkaufen". Wie regelmäßigen Lesern der Kolumne vermutlich klar ist, ist das Gedankenmodell Freier Software von diesem Produktdenken entkoppelt -- es ist die Leistung, die Befähigung, die Dienstleistung, die zur Basis der wirtschaftlichen Transaktion wird.
Grundlegender verkennt der Vergleich mit dem Buch jedoch die grundsätzlichen Wesensunterschiede zwischen Software und Büchern. Klassische Bücher sind reine Transportmedien, sie sind passiv und die Gedanken in ihnen erwachen erst wieder zum Leben, wenn sie durch einen Menschen gelesen und in den Denkprozess aufgenommen werden. Niemals entfaltet das Buch selber eine Aktivität oder dient Menschen autonom als Erweiterung ihres Aktionspotentials. Das ist bei Software anders.
Tatsächlich wird Software oft als "gefrorene Dienstleistung" bezeichnet, eine Sichtweise, die sich vom Produktdenken löst und in der Tat deutlich besser beschreibt, was Software ist. Wenn wir uns von der konkreten Frage lösen und etwas Abstand nehmen, sehen wir den Computer als unglaublich weit entwickeltes Werkzeug -- vermutlich das Werzeug mit der höchsten Komplexität in der Geschichte der Menschheit.
Seine Komplexität erlaubt es uns, unsere Fähigkeiten in dieses Werkzeug zu übertragen. Von der Perspektive der Menschheit betrachtet, erlaubt uns dieses Werkzeug, selbst abstrakte Fähigkeiten auszuüben, die wir persönlich nicht besitzen und diese Fähigkeiten kollektiv zu verbessern.
Nehmen wir beispielsweise die mathematische Operation der schnellen Fourier-Transformation (FFT), mit der Signale in den Frequenzraum überführt werden. Die meisten Menschen besitzen vermutlich nicht die persönliche Fähigkeit, diese Transformation durchzuführen. Wird sie aber in einen Computer übertragen, ist sie für jeden Menschen mit einem Computer anwendbar.
Software ist die Form, die unsere Fähigkeiten annehmen, wenn sie in den Computer übertragen werden. Eine noch zutreffendere Sichtweise von Software wäre in diesem Fall also die einer "gefrorenen Fähigkeit."
Damit ist Software selbst Fähigkeit in einer anderen Form, wobei deren Benutzung, Pflege und Erstellung wiederum persönliche Fähigkeiten erfordern, die ebenfalls dem Gebiet der Kulturtechnik Software zuzuordnen sind.
Auch wenn das gesellschaftliche Verständnis von und für Software sicherlich noch in den Kinderschuhen steckt, kommt diese Betrachtung nach meinem Dafürhalten der Sache schon sehr viel näher.
Damit genug für diesen Monat, ich hoffe, die oft doch sehr intransparenten Prozesse der globalen Politik im Allgemeinen und der Weltgipfel im Besonderen durch die Berichte vielleicht etwas transparenter gemacht zu haben. Vielleicht haben sich ja durchaus ein paar neue Perspektiven ergeben.
Für die Lücke der Veröffentlichung der Ausgaben der Brave GNU World auf der Hompage [3] bitte ich um Entschuldigung. Da savannah [9] mit ähnlichen Problemen wie die Debian Server gekämpft hat, war ein Seitenupdate leider längere Zeit unmöglich. Ich hoffe jedoch, daß die Veröffentlichung auf dem Web ab jetzt wieder reibungsloser geschieht.
Ansonsten bleibt mir nur, wie immer um Anregungen, Ideen und Kommentare per Email [1] zu bitten -- speziell bei der Projekten ist die Kolumne als interaktives Medium gedacht. Solltet ihr also ein interessantes Projekt (entdeckt) haben, so bitte ich um einen Hinweis.
Infos |
[1] Ideen, Anregungen, Kommentare an die Brave GNU World: column@brave-gnu-world.org
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Der Autor |
Dipl.-Phys. Georg C. F. Greve beschäftigt sich seit etlichen Jahren mit Freier Software und kam früh zu GNU/Linux. Nach Mitarbeit im GNU-Projekt und seiner Aktivität als dessen europäischer Sprecher hat er die Free Software Foundation Europe initiiert, deren Präsident er ist. Mehr Informationen finden sich unter http://gnuhh.org. |
Copyright (C) 2004 Georg C. F. Greve and Linux-Magazin
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